Forderungen zur anti-ableistischen, feministischen und intersektionalen Einbeziehung der Interessen von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in Rechts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik.
Ihr könnt die Positionen von FmB entweder hier online lesen und mit den Buttons navigieren oder als PDF-Dokument downloaden: FmB Positionspapier 2025 PDF
Grundsätze von FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen
FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen (im Folgenden auch FmB) ist die erste anti-ableistische, feministische und intersektionale Interessensvertretung von Frauen* mit Behinderungen in Österreich. Im Fokus steht die unabhängige und community-basierte Interessensvertretung. Sie bekennt sich zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) sowie zur UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (UN-FRK).
FmB ist eine gemeinnützige, inklusive und partizipative Organisation – gegründet, geführt und gestaltet von Frauen* mit Behinderungen. Sämtliche Aktivitäten, Unterlagen und Veranstaltungen sind barrierearm. FmB nutzt die gemeinsame Stärke ihrer Mitglieder, die mit unterschiedlichen Intersektionen leben. Ebenso spricht FmB Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen aus ganz Österreich an, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich.
Einordnung des Positionspapiers
Dieses Positionspapier fokussiert sich auf die Ausgangslagen und Forderungen, die spezifisch Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen betreffen. Es trägt dazu bei, die Diskurse sowohl in behindertenpolitischen als auch in feministischen Bereichen intersektional zu denken. Die Community der Frauen* mit Behinderungen hat dieses Positionspapier mit Unterstützung des Büros von FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen erarbeitet und gemeinsam abgestimmt. Es ist ein lebendes Papier, das in den kommenden Jahren über Fokusthemen weiter vertieft werden wird.
Lebensrealitäten von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in Österreich
Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen werden sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch aufgrund ihrer Behinderungen in allen Lebensbereichen diskriminiert und benachteiligt. Hinzu kommen weitere Intersektionen wie Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, Herkunft, Alter oder sozioökonomischer Status, die diese Mehrfachdiskriminierungen potenzieren. Zudem erleben Frauen* mit Behinderungen auch mehrdimensionale Diskriminierung. Außerdem sind Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in Österreich weitgehend unsichtbar. Die Mehrfachdiskriminierung führt zu sozial-, rechts- und gesellschaftspolitischen Entscheidungen, die die Lebensrealitäten von Frauen* mit Behinderungen außer Acht lassen. Daraus folgt eine fortgesetzte Benachteiligung in allen Lebensbereichen. Gleichzeitig ist das aktuelle Antidiskriminierungsrecht in Österreich nicht ausreichend, um wirkungsvoll gegen Mehrfachdiskriminierung und intersektionale Diskriminierung vorzugehen.
Forderungen
- Bewusstsein zu Mehrfachdiskriminierung und intersektionaler Diskriminierung in Österreich.
- Weiterentwicklung des Antidiskriminierungsrechts für einen wirkungsvollen Schutz vor Mehrfachdiskriminierung und intersektionaler Diskriminierung.
- Rechts-, sozial- und gesellschaftspolitische Entscheidungen müssen nach intersektionalen, anti-ableistischen und feministischen Kriterien getroffen werden.
- Das Bild von Mädchen* und Frauen* mit Behinderungen in der Öffentlichkeit muss neu geprägt werden. Die Lebensrealitäten von Mädchen* und Frauen* mit Behinderungen müssen sichtbar gemacht werden, etwa in Medien oder Werbung.
- Mädchen* und Frauen* mit Behinderungen müssen in allen Entscheidungsebenen repräsentiert sein.
Interessenvertretung
Der UN-BRK-Fachausschuss kritisierte 2023 im Rahmen der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich fehlende Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung von Frauen* mit Behinderungen. Auch der UN-FRK-Fachausschuss hatte bereits 2019 im Rahmen der Staatenprüfung über die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention in Österreich die Gleichstellung von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in frauenpolitischen Maßnahmen und Programmen gefordert. Im Nationalen Aktionsplan Behinderungen 2022-2030 finden sich lediglich entsprechende Ziele, nicht jedoch konkrete Maßnahmen.
In den Entscheidungsgremien der Behinderten- und Frauenpolitik fehlt bisher die umfassend anti-ableistische, feministische und intersektionale Perspektive. Zudem übernimmt die öffentliche Hand bisher keine finanzielle Förderung einer unabhängigen Interessensvertretung von Frauen* mit Behinderungen.
Forderungen
- Eine ausreichende Ressourcenausstattung einer unabhängigen Interessensvertretung von Frauen* mit Behinderungen, um das Empowerment von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen zu ermöglichen.
- Frauen* mit Behinderungen müssen an politischen Entscheidungen mitwirken. Dazu braucht es entsprechende Vorgaben im Sinne von Quotenregelungen, etwa in Förderverträgen für Interessensvertretungen.
- Es braucht Beauftragte, die intersektional ausgerichtet sind und Geschlecht und Behinderung zusammen denken, in allen Organisationen der Sozialpartner*innen Österreichs sowie in allen frauenpolitischen als auch behindertenpolitischen Organisationen und Interessensvertretungen.
Selbstbestimmtes Leben
Fehlende Unterstützungsstrukturen führen dazu, dass Frauen* mit Behinderungen in Österreich keine Wahlfreiheit haben, wo sie leben, mit wem sie leben und wie sie leben. Es gibt keinen flächendeckenden Anspruch auf bedarfsgerechte Persönliche Assistenz. Zudem fehlt es an barrierefreiem, leistbarem Wohnraum. Das führt dazu, dass Frauen* mit Behinderungen immer wieder gezwungen sind, in Institutionen zu leben. Verlassen sie ihren Wohnraum, müssen sie feststellen, dass sich Barrierefreiheit im öffentlichen Raum am Mann mit Behinderungen orientiert. Dem liegen genderungerechte Normen zugrunde, wie z.B. zu steile Neigungswinkel von Rampen.
Das selbstbestimmte Leben von Frauen* mit Behinderungen wird weiters dadurch erschwert, dass finanzielle Unterstützungsleistungen je nach Zuständigkeit (Bund/Länder) sowie je nach Lebensbereich zersplittert sind, zudem fehlt es häufig an Rechtsanspruch. Außerdem nehmen vorhandene Förder- und Unterstützungsinstrumente wenig bis keine Rücksicht auf genderspezifische Lebensrealitäten von Frauen* mit Behinderungen. Diese Lücken treffen Frauen* mit Behinderungen überproportional, da sie so in gender- und behinderungsspezifische Abhängigkeitsverhältnisse gezwungen werden. Diese potenzieren Gewaltbedrohung und Gewaltbetroffenheit. Bereits erreichte Standards etwa in Bauordnungen oder im Bereich Persönliche Assistenz werden derzeit eher rückgebaut als weiter ausgebaut.
Weiters ist für ein selbstbestimmtes Leben der freie Zugang zu Interessensvertretungen nötig – gerade dieser ist für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen, die in Institutionen leben, nicht gewährleistet, da Angebote wenig bekannt gemacht werden und/oder keine Unterstützung zur selbstbestimmten Teilnahme erfolgt.
Forderungen
- Alle Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen müssen freien Zugang zu Interessensvertretungen und Empowerment haben, auch und gerade wenn sie in Institutionen leben.
- Es muss eine österreichweite Strategie zur De-Institutionalisierung entwickelt und umgesetzt werden, die ganz spezifisch Genderaspekte berücksichtigt.
- Fortführung der Harmonisierungsrichtlinie zur Persönlichen Assistenz mit ausreichender Finanzierung sowie Rechtsanspruch auf flächendeckende, bedarfsgerechte Persönliche Assistenz. Persönliche Assistenz ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten, gewaltfreien Leben von Frauen* mit Behinderungen.
- Sicherer, barrierefreier und leistbarer Wohnraum muss für Frauen* mit Behinderungen zur Verfügung stehen.
- Die Bauordnungen der Länder müssen verpflichtende Barrierefreiheitsstandards vorgeben.
- Der geförderte Wohnbau muss verpflichtende Barrierefreiheitskriterien erfüllen.
- Normen zur Barrierefreiheit müssen Genderaspekte beachten, so ist etwa für Frauen* mit Behinderungen ein geringerer Neigungswinkel bei Rampen wichtig.
- Finanzielle Leistungen müssen genderspezifische Unterschiede im Bedarf berücksichtigen.
- Frauen* mit Behinderungen müssen eigenständige Ansprüche auf Leistungen haben, unabhängig von ihrem Familienstand oder ihrer Wohnform.
Empowerment
Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen sind es in Österreich gewohnt, diskriminiert und stigmatisiert zu werden. Damit verbunden sind Ohnmacht, Scham, höhere Gewaltbedrohung und fehlende Chancen auf volle Teilhabe an der Gesellschaft.
Forderungen
- Anschluss an eine Community von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen, die mit ausreichend Ressourcen ausgestattet ist, um das Empowerment entsprechend zu fördern.
- Freier und barrierefreier Zugang zu Wissen über Feminismus, Ableismus und Intersektionalität, um ein empowerndes Selbstverständnis als Frau* oder Mädchen* mit Behinderungen entwickeln zu können.
- Mehr Möglichkeiten und Angebote, um die eigenen Rechte als Frau* und Mädchen* mit Behinderungen zu kennen und zu nutzen.
- Zugang zu geschützten Räumen („safe spaces“) für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.
- Zugang zu Werkzeugen und Methoden, um sich als Frau* oder Mädchen* mit Behinderungen für sich selbst und für andere einsetzen zu können.
Gesundheit und Gender Medizin
Frauen* mit Behinderungen werden im Gesundheitssystem mehrfach benachteiligt. Zum einen wirken sich die Versäumnisse in der Umsetzung einer gendergerechten Medizin negativ aus, zum anderen erleben sie vielfache Barrieren in der Zugänglichkeit, Information und Behandlung im Gesundheitssystem. Dies betrifft insbesondere den gynäkologischen Bereich sowie den Zugang zu selbstbestimmter Empfängnisverhütung, Kinderwunsch oder Schwangerschaftsabbrüchen.
Die Symptome von Frauen* mit Behinderungen werden häufig psychologisiert und nicht ernst genommen. Es gibt Erfahrungswissen zu oft massiven Wechselwirkungen zwischen chronischen Erkrankungen oder Behinderungen und hormonellen Umstellungsphasen, wie etwa den Wechseljahren, aber kaum Daten dazu. Zudem erleben Frauen* mit Behinderungen in medizinischen Begutachtungen, etwa zur Feststellung des Grades der Behinderung oder einer allfälligen Berufsunfähigkeit, entwürdigendes und sogar gewaltvolles Verhalten.
Forderungen
- Anti-ableistische und feministische Aufklärung als verpflichtende Ausbildungsinhalte für Gesundheitspersonal, um gleichberechtigten Zugang und Behandlung zu ermöglichen.
- Empowerment von Patientinnen* mit Behinderungen, insbesondere durch Workshops und Leitfäden, um Patientinnen* auf Ärzt*innengespräche vorzubereiten.
- Barrierefreier Zugang zu und Ausstattung von Gynäkologie-Ordinationen.
- Umfassend informierte und selbstbestimmte Entscheidungsmöglichkeiten zu Empfängnisverhütung, Kinderwunsch und Schwangerschaftsabbruch sowie der barrierefreie Zugang dazu.
- Anti-ableistische und feministische Leitlinien für medizinische Begutachtungen, die die Lebensrealitäten von Frauen* mit Behinderungen berücksichtigen; insbesondere Recht auf Beiziehung einer Vertrauensperson während der Begutachtung.
- Forschung zu Wechselwirkungen zwischen chronischen Erkrankungen oder Behinderungen und hormonellen Umstellungsphasen, wie etwa den Wechseljahren.
Gewaltschutz
Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen sind um ein Vielfaches häufiger von physischer, psychischer, emotionaler und sexualisierter Gewalt betroffen als Frauen* ohne Behinderungen, und auch häufiger als Männer mit Behinderungen. Auch im digitalen Raum wird Gewalt erlebt. Gleichzeitig ist das Gewaltschutzsystem in Österreich für Frauen* mit Behinderungen kaum zugänglich – es fehlt an Bewusstsein, an Eingehen auf die Zielgruppe sowie an Barrierefreiheit. Der Gewaltschutz in Österreich orientiert sich vorrangig an der weißen Frau ohne Behinderungen. Es gibt kein ausreichendes Angebot an Peer-Beratung. Die einzige auf den Gewaltschutz von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen spezialisierte Peer-Beratungsstelle befindet sich in Wien, und deren Ressourcen stehen in keiner Relation zum tatsächlichen Bedarf im ganzen Land. Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen haben aufgrund ihres Geschlechts sowie ihrer Behinderung ein höheres Risiko, Opfer von Menschenhandel und damit mehrfach ausgebeutet zu werden. Die Datenlage zu Gewalterfahrungen von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen ist noch mangelhaft, Zahlen sind nicht nach Intersektionen aufgeschlüsselt.
Forderungen
- Flächendeckendes, österreichweites Angebot an spezifischer Peer-Beratung für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.
- Österreichweit einheitlich geregelte und bedarfsorientierte Persönliche Assistenz, auch im Privatbereich sowie Abschaffung von segregierenden Wohnformen. Beides sind wesentliche Schüssel zum Gewaltschutz von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.
- Einrichtung aufsuchender, unabhängiger Gewaltschutzberatung in Institutionen und privaten Haushalten.
- Verpflichtende Schutzkonzepte gegen Gewalt in Einrichtungen unter expliziter Berücksichtigung von den vielfältigen Formen von Gewalt an Frauen* mit Behinderungen.
- Effektive und barrierefreie Beschwerdemechanismen in Einrichtungen.
- Unabhängige Interessensvertretung für Frauen* mit Behinderungen österreichweit: Förderung barrierefreier Safe Spaces und Austauschgruppen für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.
- Entwicklung und Umsetzung eines bundesweit einheitlichen und barrierefreien Notfall- und Handlungskonzepts für Gewaltschutzeinrichtungen (z.B. Frauenhäuser), um die Aufnahme und Unterstützung von Frauen* mit Behinderungen sicherzustellen – insbesondere jener, die mit Persönlicher Assistenz leben oder von der Unterstützung ihrer Partner*innen abhängig sind.
- Entwicklung und Umsetzung barrierefreier Kampagnen mit expliziter Ansprache von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen unter Einbezug von Expertinnen* mit Behinderungen.
- Aufklärung und Empowerment zu Gewalt im digitalen Raum für Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen.
- Bewusstseinsbildende Maßnahmen zu Gewalt (z.B. Workshopreihen) für Frauen* mit Behinderungen, Angehörige, Bezugspersonen, Betreuungspersonen, Partner*innen etc.
- Alle Frauen- und Gewaltschutzangebote in Österreich müssen physisch, kommunikativ, digital und kulturell barrierefrei sein.
- Förderung von Peer-Angeboten als fester Bestandteil in Beratungsstellen.
- Verankerung intersektionaler Perspektiven in Ausbildungen und Schutzkonzepten (Ableismus, Sexismus, Rassismus) für alle begleitenden Dienste bei Gewalterfahrungen.
- Verpflichtende Beauftragte für Frauen* mit Behinderungen in allen Organisationen des Gewaltschutz und in den Einrichtungen und Organisationen zum Thema Behinderung.
- Förderung barrierefreier sexualpädagogischer Bildungsangebote für Frauen* mit Behinderungen.
- Schulungsprogramme zur Entstigmatisierung von Frauen* mit Behinderungen mit dem Ziel einer Haltungsentwicklung hin zu einer menschenrechtlichen Perspektive auf Behinderung im Sinne der UN-BRK für alle Stakeholder*innen des Gewaltschutz.
- Zurverfügungstellung von Ressourcen für inklusiv gestaltete Tagungen, Seminare und Austauschplattformen zu Gender & Behinderung für Betroffene und Fachkräfte.
- Generierung von Daten zur Gewaltbetroffenheit von Frauen* mit Behinderungen.
- Schutz vor Diskriminierung und Gewalt in medizinischen und begutachtenden Kontexten gewährleisten – barrierefreie, geschlechtersensible und diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung und Begutachtungsverfahren sicherstellen.
- Schutz für Frauen* mit Behinderungen, die aufgrund ihres Genders und ihrer Behinderung mehrfache Ausbeutung erfahren und etwa als Opfer von Menschenhandel nach Österreich gebracht werden.
Bildung und Ausbildung
Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen werden beim Zugang zu inklusiver Bildung benachteiligt und erfahren viele Hürden, insbesondere: viel zu wenige inklusive Bildungsplätze an Regelkindergärten und -schulen, kein Anspruch auf bedarfsgerechte Unterstützung und Schulassistenz im Regelsystem, kein Anspruch auf das 11. und 12. Schuljahr. Die Barrieren von Elementar- bis Hochschulpädagogik potenzieren sich für Mädchen* mit Behinderungen noch einmal spezifisch: Deutlich weniger Schülerinnen als Schüler bekommen einen Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) zuerkannt. Später zeigt sich, dass Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen im Vergleich geringere formale Qualifikationen aufweisen und der Zugang zu weiteren und höheren Ausbildungen gestaltet sich schwierig.
Forderungen
- Gendersensible Begutachtungen bei der Zuerkennung von Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF), um unerkannten Förderbedarf aufgrund von Genderbias zu verhindern (z.B. nicht diagnostizierte Neurodivergenz bei Mädchen*).
- Intersektional ausgerichtete und barrierefreie Berufsorientierung und Berufsberatungsangebote für Mädchen* mit Behinderungen.
- Empowerment-Maßnahmen und barrierefreie Informationskampagnen, um Mädchen* mit Behinderungen zu ermutigen, ihre Bildungslaufbahn selbstbestimmt und selbstbewusst zu verfolgen.
Arbeit und ökonomische Selbstbestimmung
Frauen* mit Behinderungen sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Zahl ist 2025 weiter gestiegen, sowohl im Vergleich zu Personen ohne Behinderungen als auch im Vergleich zu Männern mit Behinderungen. Dazu kommt die versteckte Arbeitslosigkeit jener Frauen* mit Behinderungen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Frauen* mit Behinderungen sind eher in schlecht bezahlten Branchen mit geringeren Jobchancen tätig. Finanzbildung ist kein Teil der Bildungscurricula, und auch später im Leben ist der Zugang zu Finanzbildung kaum gegeben. All dies führt zu erschwerter ökonomischer Selbstbestimmung, was sich in Abhängigkeitsverhältnissen und Armutsbedrohung niederschlägt. Frauen* mit Behinderungen erleben bei Gehältern und Pensionsansprüchen nicht nur einen nachgewiesenen Gender Gap, sondern zusätzlich auch einen Disability Gap – sie sind also mehrfach von ungleichen Löhnen und Pensionen betroffen. Gleichzeitig fehlen dazu Studien, die einen intersektionalen Blick haben.
Forderungen
- Studien zum Gender-Disability-Gap von Frauen* mit Behinderungen bei Lohneinkommen und Pensionsansprüchen.
- Der Wert von Arbeit darf nicht allein nach kapitalistischen Kriterien von Leistungsfähigkeit bestimmt werden.
- Das Anerkennen, dass die politisch gewünschte Vollzeitarbeit nicht für alle Frauen* mit Behinderungen möglich ist.
- Qualifizierte, gut entlohnte Stellen, auch in Teilzeit.
- Frauen* mit Behinderungen müssen Zugang zu Führungspositionen haben.
- Teilzeitarbeit mit Lohnausgleich, wenn Vollzeitarbeit aufgrund der Behinderung und/oder zusätzlicher nicht abgegoltener Care-Arbeit nicht möglich ist.
- Spezifische Maßnahmen, damit Mädchen* mit Behinderungen Qualifikationen in Bereichen mit guten Jobchancen und guter Entlohnung erreichen.
- Finanzbildung als Teil der Bildungscurricula sowie freier und barrierefreier Zugang zu Finanzbildung im Erwachsenenalter.
Care-Arbeit
Frauen* mit Behinderungen leisten unbezahlte Care-Arbeit und erleben dabei Mehrfachdiskriminierung. Ihre eigene Existenzsicherung ist umso erschwerter, da Frauen* mit Behinderungen oft einer schlecht bezahlten Lohnarbeit nachgehen oder verdeckt arbeitslos sind, ihre Behinderungen managen, und das alles mit viel Ressourcenaufwand – dafür ohne Entgelt. Dies führt zu fehlender ökonomischer Absicherung, die Gehaltsschere geht noch weiter auf als bei Frauen* ohne Behinderungen, die Pensionslücke dürfte ebenfalls höher sein. Es fehlen auch in diesem Bereich Zahlen.
Forderungen
- Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen.
- Finanzielle Unabhängigkeit von Frauen* mit Behinderungen.
- Unbezahlte Arbeit muss sichtbar gemacht werden.
- Daten zu den Auswirkungen unbezahlter Care-Arbeit durch Frauen* mit Behinderungen auf deren ökonomische Absicherung.
Armut und Soziale Absicherung
Frauen* mit Behinderungen sind häufiger von Sozial- und Transferleistungen abhängig als alle anderen Gesellschaftsgruppen. Sie sind häufiger von Armut bedroht und betroffen als Frauen* ohne Behinderungen, aber auch häufiger als Männer mit Behinderungen. Zum Gender Gap bei Erwerbseinkommen oder Pension kommt noch ein Disability Gap hinzu. Der sich potenzierende Effekt dieser Intersektionen ist in der Forschung bisher kaum abgedeckt. Armut von Frauen* mit Behinderungen ist oft unsichtbar. Verdeckte Armut entsteht auch dadurch, dass Frauen* mit Behinderungen sich in Abhängigkeiten begeben müssen. Wann auch immer es zu Budgetkonsolidierungen kommt, sind Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen davon mehrfach und überproportional betroffen, was das Armutsrisiko weiter erhöht.
Forderungen
- Soziale Absicherung und Abgeltung von bislang unbezahlter Care-Arbeit.
- Leistungen wie z.B. der Anspruch auf Persönliche Assistenz oder auf Hilfsmittel dürfen nicht an das Vorliegen bezahlter Arbeit geknüpft sein und müssen auch unabhängig von der Art der Arbeit (Lohnarbeit, unbezahlte Care-Arbeit, Ehrenamt) zur Verfügung stehen.
- Wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von (Alters-)Armut und Pensionslücken. Leistungen wie z.B. der Anspruch auf Persönliche Assistenz oder auf Hilfsmittel dürfen nicht davon abhängen, dass die Frau* mit Behinderungen eine bezahlte Arbeitsstelle hat.
Freizeit und Selbstfürsorge
Frauen* mit Behinderungen fehlt es aufgrund ihrer Mehrfachbelastungen sowohl an Zeit als auch an dem Zugang zu bedarfsgerechten Unterstützungssystemen. Frauen* mit Behinderungen, die in Institutionen leben, erfahren kaum Unterstützung zur selbstbestimmten Freizeitgestaltung. Jene Frauen* mit Behinderungen, die es zu Freizeitangeboten schaffen, sind konfrontiert mit Barrieren wie unzugängliche Kunst und Kultur – dies betrifft auch feministische Kulturangebote.
Forderungen
- Selbstbestimmter Zugang zu Freizeitangeboten für Frauen* mit Behinderungen, auch für jene, die in Institutionen leben.
- Kinderbetreuung als Teil des Barrierefreiheitsangebots in Kulturinstitutionen.
- Barrierefreiheit von Kultur- und Freizeitangeboten, insbesondere auch im feministischen Bereich.
Daten und Forschung
Forschung orientiert sich nach wie vor an den Lebensrealitäten von weißen Männern ohne Behinderungen. Dies spiegelt sich auch in den Forschungsschwerpunkten wider. Themen und Lebensrealitäten von Frauen* mit Behinderungen werden von Anfang an ausgeblendet. Es existieren nach wie vor zu wenige Studien und spezifische Forschungen in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen. Obwohl der Anteil von Studierenden mit Behinderungen an Universitäten in den letzten Jahren gestiegen ist, finden sich im Vergleich dazu nur wenige Forscher*innen mit Behinderungen im Wissenschaftsbereich.
Zudem fehlen aussagekräftige Zahlen zu den Lebensrealitäten von Frauen* mit Behinderungen in Österreich. Es läuft aktuell ein Projekt, beauftragt vom Sozialministerium und durchgeführt von der Statistik Austria, zur Verbesserung der Datenlage von Menschen mit Behinderungen. Allerdings fehlen weiterhin fokussierte, genderspezifische Datenerhebungen. Fraglich ist die Aufschlüsselung der Daten nach Gender und weiteren Intersektionen wie Alter, sexueller Orientierung, Herkunft, sozio-ökonomischem Status, Familienstand oder Wohnform.
Forderungen
- Forschung muss intersektional, anti-ableistisch, partizipativ und gendersensibel durchgeführt werden.
- Barrieren am Übergang von Hochschulabschluss zum Wissenschaftsbereich und im Wissenschaftsbereich selbst müssen abgebaut werden.
- Forscherinnen* mit Behinderungen müssen gefördert werden.
- Ausweitung der Datenerhebung spezifisch auf die Lebensrealitäten von Frauen* und Mädchen* mit Behinderungen in Österreich.
- Aufschlüsselung von Daten nach Gender, Alter, sexueller Orientierung, Herkunft, sozio-ökonomischem Status, Bildungsstand, Familienstand, Wohnform.